Das Jahr 2024 und die digitale Modernisierung der Justiz
Seit 1. Januar 2022 sind wir Rechtsanwälte, aber auch Behörden sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten an Gerichte verpflichtet. Umgesetzt wurde dies durch das sogenannte besondere elektronische Anwaltspostfach (beA). Bereits die Einführung dieser digitalen Neuerung brachte viele Herausforderungen für die Justiz, aber auch die Anwaltschaft mit sich. Während für die Anwaltschaft Sicherheitsaspekte der elektronischen Signatur und anfängliche Softwareprobleme zunächst im Fokus standen, waren die Gerichte teilweise mit dem elektronischen Kommunikationsweg heillos überfordert. Ein Großteil der Gerichte druckte die über das beA erhaltenen Schriftsätze noch vollständig – zum Teil mehrfach – aus, um diese zu den eigenen Akten zu nehmen und an die weiteren Beteiligten des Verfahrens per Post dann zuzustellen. Inzwischen sind aber auch die Gerichtsakten größtenteils digitalisiert und die Schriftsätze werden elektronisch den beteiligten Parteien übersandt. Akteneinsicht erfolgt ebenfalls digital. Die Papierflut nimmt kontinuierlich ab.
Im Mai 2023 hatte die Bundesregierung dann einen Gesetzentwurf vorgelegt, der neben einer Reform der Regelungen zu Gerichtsverhandlungen unter Nutzung von Videotechnologie auch die Schaffung von Online-Rechtsantragsstellen erlaubt, Zeugenvernehmungen im Wege der Videoübertragung erleichtern soll und die Erprobung vollvirtuell durchgeführter Gerichtsverfahren gestattet.
Zuvor hatte es schon Reformvorschläge in der Justiz gegeben, die aufgrund der Leitbildfunktion der ZPO auch für die anderen Verfahrensordnungen Bedeutung weit über den Zivilprozess hinaus haben sollten. So sollte der digitale Zugang zur Justiz vereinfacht werden. Es sollte eine Verbesserung des elektronischen Rechtsverkehrs erfolgen, ein Onlineverfahren eingeführt werden sowie die Videoverhandlung und Protokollierung zu effizienteren Verfahren durch Einsatz technischer Geräte ermöglicht werden.
Hierauf folgte dann der Regierungsentwurf, welcher basierend auf den Erfahrungen mit Videoverhandlungen während der Coronapandemie die gesetzlichen Regelungen zur Videoverhandlung an die Erfahrungen anpassen sollte. Zentraler Regelungsgehalt dieses Gesetzes war, dass das Gericht eine Videoverhandlung künftig nicht mehr nur gestatten, sondern auch anordnen können soll und bei Beantragung einer solchen Videoverhandlung durch die Prozessbevollmächtigten das Ermessen des Gerichts dahingehend eingeschränkt sein soll, dass die Anordnung in diesem Fall nicht nur erfolgen kann, sondern sogar soll.
Auch soll den Ländern künftig ermöglicht werden, Rechtsantragsstellen online einzurichten, sodass Erklärungen künftig keine körperliche Anwesenheit im Gericht mehr erfordern würden. Bürger können dann online entsprechende Anträge stellen, welche rein digital abgegeben werden. Hintergrund ist, dass Rechtsuchende, welche nicht nahe am Amtsgericht wohnen, oft nur mit erheblichem Aufwand dieses erreichen können. In geeigneten Fällen soll die Rechtsantragsstelle auch per Bild und Tonübertragung mit den Rechtsuchenden kommunizieren dürfen. Ferner sollen künftig Zeugenvernehmungen per Video auch von Amts wegen angeordnet werden dürfen, daher das Antragserfordernis der Parteien oder des Zeugen und die Notwendigkeit, dass der Zeuge bei einem anderen Gericht erscheinen muss, in dem die Aufnahme gefertigt wird, entfallen.
Diese Regelungen sollen auch in der Verwaltungsgerichtsordnung sowie in der Finanzgerichtsbarkeit gelten. Auch soll eine befristete Erprobungsklausel künftig dafür sorgen, dass so genannte „vollvirtuelle Videoverhandlungen“ ermöglicht werden. Bei einer solchen vollvirtuellen Videoverhandlung hält sich keiner der Beteiligten, damit auch nicht der vorsitzende Richter, in einem Gericht oder einem Sitzungssaal auf. Vielmehr kann die Verhandlung an jeweiligen verschiedenen Orten virtuell stattfinden.
Nachdem seit dem Jahr 2022 die Rechtsanwälte, Behörden sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten an Gerichte verpflichtet wurden, zeigt der Gesetzentwurf, dass der Rahmen von digitalen Möglichkeiten bei weitem noch nicht ausgeschöpft wurde. Die nächsten Jahre werden zeigen, wie die Justiz mit dieser Herausforderung der vollständigen Digitalisierung umzugehen lernt. Es bleibt sehr spannend.
Herzlichst,
Ihr Raimund Kühne
Rechtsanwalt